Über die Rezeption künstlerischer Praxis

Janine Muckermann

Vor ein paar Wochen ging ich zu der Eröffnung einer Kunstausstellung in der Wiener Secession. Dort begab ich mich in das Kellergeschoss und sah mir die Arbeiten einer in Wien dozierenden Künstlerin an. Ich schlenderte durch die Gänge, Hallen, zwischen den Menschen umher und betrachtete ihre Kunst, machte mir Gedanken zu Aufbau, Entstehung und Zusammenhängen. Größtenteils wurde Malerei ausgestellt und im letztem Raum befanden sich installative, plastische Arbeiten. Schon als ich vom ersten in den zweiten Raum gewechselt war, bemerkte ich, dass ein älterer Herr seinen Blick auf mich gerichtet hatte und an mir vorbeischlich.Zunächst dachte ich, ich würde mir das nur einbilden. Also versuchte ich mir keine weiteren Gedanken darüber zu machen. Ich ging weiter und betrachtete ein Bild, als mich von der Seite ein Mann ansprach: Der Mann, der schon vorher um mich herumgeschlichen war. Er fragte mich voller Ehrfurcht, ob ich denn die Künstlerin sei. Ein großer Mann, in Anzug und mit Aktenkoffer in der Hand, wirkte auf mal ganz klein angesichts meiner für ihn anscheinend wahrnehmbaren Aura. Nein, bin ich nicht, erwiderte ich und bemerkte, dass der Herr nun langsam dieser auratischen Wolke, die mich für ihn umgab, entwich. Er entschuldigte sich und verließ den Ausstellungsraum.

Dieser kurze Moment der Prominenz ließ mich interessiert und fasziniert zurück. Künstler*innen umgibt eine gewisse Aura. Sobald der Schritt in die Kunstakademie geschafft ist, ist alles Kunst. Oder wird als solche wahrgenommen. Dass Beuys zufolge jeder Mensch ein*e Künstler*in sei, mag stimmen, doch die Hürde der „Qualität“ mache laut ihm den Unterschied. Und dieser „qualitative“ Unterschied wird weniger aus formalen, sondern vielmehr aus verschiedenen subjektiven Gründen als solcher wahrgenommen. So sehen manche Menschen in einem Löffel eine künstlerische Arbeit, andere ein tägliches Essinstrument, das allenfalls in die Kategorie „Design“ fallen würde. Geschmack, ästhetische und erlernte Vorlieben der Auswählenden, soziale und finanzielle Beziehungen, die Entstehungskontexte der künstlerischen Arbeiten und die gesellschaftliche Einordnung der künstlerischen Positionen sind relevante Faktoren, um an einer Kunstakademie angenommen, in einer Galerie ausgestellt, in theoretischen Texten rezipiert und künstlerischen Arbeiten zitiert zu werden.

Wenn man erst zu dem erlesenen Kreis der Auserwählten gehört, die in einer Kunstakademie Bildende Kunst studieren dürfen, die damit durch eine*n Professor*in das Qualitäts- oder Gütesiegel der „besonderen künstlerischen Begabung“ aufgestempelt bekommen haben und so gegebenenfalls für Außenstehende nun einen „Nimbus“ erhalten, ist man jedoch nicht gleich erfolgreiche*r Künstler*in — wobei der mehrdeutige Begriff „erfolgreich“ im Kontext neoliberaler kapitalistischer Gesellschaftsstrukturen nicht unproblematisch ist. Ich meine Erfolg im Sinne einer persönlichen Zufriedenheit, das zu tun, wofür man eine Leidenschaft hegt. Raum zu haben, um sich selbst und die eigene künstlerische Position vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Veränderungen weiterentwickeln zu können. Wenn man von der eigenen künstlerischen Arbeit zumindest teilweise leben kann, ohne sich dabei zu sehr dem Kunstmarkt beugen zu müssen. Für diese Konfigurationen des Erfolgs unabdingbar sind nach wie vor Beziehungen, soziale und finanzielle Netzwerke. Leider spielt vor, während und nach Abschluss des Studiums nicht selten die soziale Herkunft eine beachtliche Rolle, insbesondere in der Finanzierung der Wohnungs- und Ateliermiete, der Lebenshaltungskosten sowie der Sozialversicherung. Eine finanzielle Unterstützung seitens der Familie ist meist unumgänglich für eine existenzielle Grundsicherung während des Studiums, ansonsten wird die ohnehin schon prekäre Lebenssituation durch die Zeitinvestition in gegebenenfalls kunstferne Lohnarbeit verkompliziert. Familiäre, soziale und institutionelle Netzwerke sind Privilegien, zu denen nicht jede*r Kunstschaffende Zugang hat.

In einer Kunstakademie sind Gleichgesinnte meist leicht getroffen und die ersten Ausstellungen schnell selbstorganisiert. Und genau ab diesem Zeitpunkt, wenn nicht bereits davor, greifen die vorherrschenden patriarchalen Mechanismen: Männer*freundschaften. Aus einer kunsthistorischen Tradition gewachsen sind es vor allem Männer*, die Männer* ausstellen oder von Frauen ausgestellt werden. Autodidakten* sind dabei seltener vertreten, nur, wenn sie wohlmöglich im Künstler*-Freundeskreis waren. Freundinnenschaften gibt es in Ausstellungskontexten weniger, außer vielleicht in queer-feministischen. Dieser stetig reproduzierte Ausstellungshabitus sollte kritisch hinterfragt werden. Wie steht es um die Gleichberechtigung in Kunstakademien, in Galerien und Ausstellungshäusern? Auch in Off-Spaces gehören patriarchale und heteronormative Tendenzen und institutionelle Rahmenbedingungen häufig noch zum Alltag. Beziehungen sind notwendig, um mit der eigenen künstlerischen Praxis „erfolgreich“ zu sein, ausgestellt zu werden und ein Publikum zu finden, welches sich für die künstlerischen Arbeiten interessiert. Ausgestellt wird, wer vernetzt ist. Und das Wechselspiel zwischen familiären und finanziellen Privilegien, sozialen Beziehungen und dem komplexen Konstrukt der Aura wird weiterhin in der Produktion und Rezeption künstlerischer Praxis eine Rolle spielen, ob man die auserwählten Künstler*innen nun als „Genies“ oder nur als „besonders künstlerisch begabt“ betrachtet und damit zeitweise ins unnahbar „Göttliche“ erhebt.