Kein(er) Zuhause bei N. Schmidt

Natalie Wilke

Es scheint fast so, als wäre die lange Warteschlange vor Gregors Schneiders Installation mehr als nur ein notwendiges Übel und ein Resultat der streng limitierten Besucheranzahl, die die Arbeit gleichzeitig begehen dürfen, sondern als berge sie auch die Möglichkeit zu rasten, still zu werden im Warten, um dann alleine den Aufstieg in den zweiten Stock des LWL-Museumsneubaus an der Westseite zu nehmen. Für die Skulptur Projekte Münster 2017 hat Gregor Schneider das Nebengebäude in Form und Grundriss so verändert, dass das Innere der zweiten Ebene ganz und gar keinem modernen Gebäudekomplex mehr gleicht. Die Rauminstallation umfasst zwei gedoppelte und in ihrer Ausstattung baugleiche Wohnungen, durch die sich der Besucher wie durch eine Möbiusschleife bewegt – Anfang und Ende werden indefinit und eine Raumvorstellung eines möglichen Grundrisses wird verunmöglicht. In der Wohnungstür, durch die man die Räume betritt, steckt (noch?) der Haustürschlüssel, dessen Aufforderungscharakter in seiner Einfachheit nicht gewaltiger sein könnte. Im dahinter gelegenen kleinen, flurartigen Raum auf weißen Bodenfliesen bieten sich zwei weitere Türen zum Passieren an, von denen die rechte Tür jedoch verschlossen bleibt. Das Durchschreiten durch die aufschließbare Tür offenbart einen Raum, der sich sowohl in der Beschaffenheit als auch von den Lichtverhältnissen stark vom Flur hinweg divergiert: Ein grau-brauner Teppichboden verdunkelt nun auch aus der horizontalen das ohnehin schon düstere Zimmer. Er verschluckt das diffuse schwach-gelbe Licht, das aus zwei Fenstern durch halb heruntergelassene Rollläden in den Raum hineingähnt. Die Fenster verschleiern hinter den weißen, leicht transparenten Stoffvorhängen auf den ersten Blick ihre Funktionslosigkeit, denn als bloße Attrappen stellen sie keine Verbindung mehr zur Außenwelt her. Das Licht referiert auf keine Tages- oder Nachtzeit und lässt so die Zimmerwände noch enger zusammenrücken. Das Motiv des Blickes aus dem Fenster, das in der Malerei der Romantik eine zweidimensionale Fläche in eine dreidimensionale Tiefendimension aufzubrechen bestrebt war, wird hier in sein Gegenteil verkehrt. Das Fenster als architektonisches Auge in die Außenwelt ist erblindet und einem gelben unscharfen Fleck gewichen. Das stärkere, härtere Licht wird vielmehr von einem Monitor in den Raum abgestrahlt, welcher, auf dem Boden stehend, an der Wand lehnt. In ihm doppelt sich gewissermaßen medial der Raum erneut, als dass er die abgefilmte Fensterwand wiedergibt. In unregelmäßigen Abständen laufen Personen durch das Bild – vermutlich zeitversetzte Aufnahmen von vorherigen Besuchern. Die Absenz und Präsenz von anderen Personen, die die Wohnung betreten und verlassen haben, wird gleichermaßen spürbar und lässt die Überwachungskamera zwischen den Polen der Kontrolliertheit und Unsicherheit oszillieren. Die Rolle des Performers legt Schneider hier in den Besucher ein, der sich seiner eigenen Performance erst gewahr wird, wenn er seine Vorgänger geisterhaft über den Fernsehbildschirm flimmern sieht. Das Betreten des nächsten Zimmer wird sogleich durch das eigene Spiegelbild eingeleitet und der Besucher muss die Schwelle zum Raum sozusagen über seinen gespiegelten Doppelgänger hinweg nehmen. Der fast schon zu schmal erscheinende Spiegelkleiderschrank, bestellt zudem das einzige Interieur des Raumes. Vom zuvor noch voyeuristischen Standpunkt in der Beobachtung der Personen auf dem Bildschirm wird der Umherkreisende nun wieder gänzlich mit sich selbst, seiner Existenz im Raum und seinem Eindringen in jenen konfrontiert. Ebenfalls in gelbes Licht getaucht, verblendet der glatt-milchige Vorhang vor dem einzelnen Fenster seine eigenen Umrisse im Licht so stark, dass ein optisches Nachschärfen durch die eigenen Augen nicht gelingen mag. Die Orchideenpflanze, die sich hinter dem Vorhang verbirgt, gibt sich so nur noch schemenhaft in Form und Farbigkeit zu erkennen. Es scheint lediglich eine Idee von ihr durch den Vorhang hindurch. Als Relikt einer (Schein)Wohnhaftigkeit suggeriert sie zwar Lebendigkeit und Fluktuation im Raum, doch erhärtet sich die Erkenntnis, dass sich niemand ihrer Pflege widmen wird. Gleichzeitig reiht sich ihr Ruf als spießige Zierpflanze in die etwas aus der Zeit und Mode gefallene Ausformung der Räume ein, die sich im seriellen gefertigten Inventar widerspiegelt und als wiederkehrender Aspekt in Schneiders Werken gilt. Gerade dieses, bewusst und sparsam platzierte, bieder anmutende Mobiliar öffnet Assoziationsräume, die Vergänglichkeit, Verlassenheit und Beklemmung imaginieren lassen. Das im nächsten Zimmer gelegene Bad ist mit kaltem klinischen Licht ausgeleuchtet und bietet in seiner sanitären Ausstaffierung lediglich eine Dusche und ein Waschbecken. Im Badschrank über dem Waschbecken spiegelt sich der Besucher erneut, während er vermutlich zu Notiz nimmt, dass der Wasserhahn unaufhörlich tropft, aber sich trotzdem nicht manuell abstellen lassen will. Während dieses unaufhörliche Rinnen gemeinhin als nervenaufreibendes Störgeräusch wahrgenommen wird, mutiert es jetzt zu einem auditiven Rettungsanker für den Besucher in der kopierten Wohnung, die sich sonst in absoluter und isolierender Stille verschließt. Selbst eine Temperatur ist sinnlich nicht näher bestimmbar. Nach Verlassen des Bades beginnt der Leerlauf von neuem im Flur und der Bogen der Endlosschleife wird gezogen. Dabei scheint es das erneute Durchlaufen und das performative Öffnen jeder einzelnen Zimmertür zu sein, das konstitutiv für die Evokation einer ästhetische Erfahrung ist. So schließen sich die Türen stets durch einen Mechanismus automatisch selbst und fallen wieder ins Schloss, um einen hermetisch abgeschlossenen Raum zu zeichnen und eine atmosphärische Mischung der Zimmer zu verhindern. Die Absenz jeglicher sozialer materiellen Güter, besonders das Aussparen jeglicher Sitzmöglichkeiten, stößt die Getriebenheit des Rezipienten weiter an. Im Verweilen wird er nämlich umgehend auf sich selbst zurückgeworfen und so geht er in den nächsten Raum. Die Wechselwirkung zwischen den sichtbaren und unsichtbaren Dingen in den Zimmern lässt so die Raumwirkung ständig vom Alltäglichen ins Unbehagliche und Fremde kippen. Die einzige Möglichkeit zu rasten, bietet der schmale Kleiderschrank, in dem sich der Besucher stehend ,einsargen‘ kann. Ausfräsungen in den inne liegenden Regalböden erlauben, sich mit dem ganzen Körper in den Schrank einzupassen. In ihm, so sagt Gregor Schneider, könne er seine Gedanken und sich selbst beieinander halten, während sonst Körper und Geist ständig auseinander zu fallen drohen: „Im Schrank spüre ich meinen Körper. In meinen Räumen mache ich häufig die Erfahrung, außerhalb meines Körpers zu sein…“. Gefühlte Einsamkeit wird durch das Eintreten in den Schrank in fruchtbares Alleinsein mit sich selbst übersetzt, den Gedanken wird eine Barriere aus Holz geschaffen und die Selbstverlorenheit scheint wenigstens temporär gebannt. Die Rauminstallation für die Skulptur Projekte in Münster erschließt sich bei näherer Betrachtung als ein dynamischer Hybrid aus verschiedenen Arbeiten Schneiders. Sie bindet sowohl formale wie inhaltliche Auseinandersetzungen und Konstruktionen von erlebtem Raum und schließt die das OEuvre stets begleitende Leitmotivik in ihre Endlosschleife mit ein. So ist die Verdopplung des Raumes und die gewissermaßen doppelte Dopplung durch angebrachte Spiegel innerhalb der Räume wie in anderen Arbeiten auch hier maßgeblicher Irritationsträger und Marker für Unheimlichkeit. Gregor Schneider erzeugt diese Unheimlichkeit hier jedoch weniger durch Horror oder Groteske, die wie in Die Familie Schneider durch Schauspieler anhand verschiedener Performances externalisiert wurde, sondern vielmehr durch den buchstäblichen Abzug von einem Heim als Ort der Geborgenheit. Schneider subtrahiert Komfort, Dekor und personalisierende Gegenstände aus seinen Raumkonstruktionen heraus. Was bleibt sind vermeintlich leere, normierte Räume, die sich dennoch oder gerade deswegen erdrückend voll erleben lassen. Auch der titelgebende Name der fiktiven Person N. Schmidt, der schon als fiktiver Mitbewohner des Haus u r in Erscheinung trat, ist in der Raumkonstruktion nur noch geisterhaft vorhanden. Lediglich der Name am Klingelschild verweist zunächst deiktisch auf jemanden, löst sich jedoch dann in einer Nullreferenz auf. Der Schrank als Möglichkeit der Isolation in der Isolation selbst erinnert an die Arbeit Total isolierte Kisten (1986). Gregor Schneider nimmt selbst Bezug auf diese Arbeit und konstatiert: „Die Räume waren im Anfang nur vergrößerte Kisten“. Die Idee einer totalen Isolation hat sich also räumlich ausgebreitet und auch ein begehbarer Wohnungskomplex vermag es, noch größere „Angsträume“ zu öffnen, in welchen der Rezipient hilflos umherkreist. So wird die erste Wohnung irgendwann zur zweiten und die zweite wieder zur ersten.
Gregor Schneider, N. Schmidt, Pferdegasse 19, 48143 Münster,
Deutschland, Raumkonstruktion, Münster, LWL. (Foto: Natalie Wilke)