Großformatig unaufgespannt.

Ellen Wagner

Die Akademie als weißer Wal? In stiller Größe, als Sinnbild und konkreter Ort der poetischen Vereinigung von Natur und Kultur, erhaben, uralt, unerlegbar. Ist es das, was uns die Ausstellung AKADEMIE im KIT sagen will, wenn sie uns am Eingang mit einer großen schlappen Walfischflosse, genäht aus weißem Nessel konfrontiert? Rosa Sarholz’ zarte Stoffhülle mit dem Titel Blueprints (2017), Blaupausen, unterwandert diese Lesart, indem sie den Wal seines Volumens beraubt und mit metaphorischer Offenheit versieht. Die Akademie wird zu einem bewährten und oft übertragenen, jedoch bestimmte Vorgaben ebenso wie Interpretationsspielräume beinhaltenden Modell.

Die Akademie als Bettbezug? Leicht überzustreifen und auszutauschen, mit wechselnden Mustern, flauschig, kratzig, anschmiegsam? Akademie kann vieles sein, und Sarholz’ Textilarbeit lädt ein, über die Notwendigkeit nachzudenken, die Institution mit konkretem Leben immer wieder neu zu stopfen.

Der Anspruch der von Gertrud Peters und Elmar Hermann mit der Kunsthalle Düsseldorf konzipierten Ausstellung AKADEMIE ist ein zweifacher:

Erstens setzt sie einen dokumentarischen Schwerpunkt, präsentiert Material aus Archiven der mit der Düsseldorfer Akademie verknüpften Initiativen wie etwa des Künstlervereins Malkasten. Viele Arbeiten beschäftigen sich mit der Vitrine als Aufbewahrungsort und Präsentationsmedium. So wird das Interview, das Fabian Ruzicka und Simone Curaj mit dem für experimentelle Performances und Filme in den 1980er-Jahren bekannten Kollektiv Anarchistische Gummizelle führten, im Format der von oben gefilmten Tischplatte gezeigt. Auf dieser mischen sich die Archivschnipsel mit den Bewegungen suchender oder entschiedener Griffe, mit unwillkürlichen oder erklärenden Gesten, die, isoliert von ihren Körpern als zentrale Bestandteile von Kommunikation in den Fokus rücken (table-talk, 2017). Marcel Stahns „Vitrinen“ aus Schutzschilden, wie sie Polizeibeamte tragen (get me out of bed right now, 2017), wiederum könnten beinahe als Reflexion darüber gelesen werden, ob wir uns nicht manchmal selbst, durch ein Bedürfnis, uns vor unserer Umgebung zu schützen, in eine Art von Schaukasten begeben und damit paradoxerweise umso mehr den Blicken anderer aussetzen.

Zweitens wollen die Kuratoren die fragen, was Akademie heute sein kann, als Ort, der Schutzraum, Freiraum und Abschusszone zugleich ist. Doch was im Ausstellungstext auf abstrakter Ebene an Kritik an den Paradoxien des Akademielebens zwischen dem Versprechen freier Entfaltung und der Forderung nach Anpassung anklingt, wird in der Schau nicht durch Bezüge zu konkreten Situationen im Akademiealltag zugespitzt. Fast klingt es so, als wolle man hier gar nichts kritisieren oder neu denken, sondern darauf hinweisen, wie mühevoll es doch ist, Kunst zu studieren, und welche Bewährungsprobe diejenigen bestanden haben, die es schaffen, sich durchzusetzen.

Wie denkt man eine Institution für die Gegenwart und Zukunft weiter, indem man die Präsentationsform des Archivs in den Vordergrund stellt? Müsste man dabei nicht den Gedanken von der Akademie als einem Ort, der nicht zuletzt die Beherrschung bestimmter Sprach- und Verhaltenscodes zum Ziel hat, selbst stärker hinterfragen?

Zentraler Gedanke der Akademie ist es, als Institution mehr für den geistigen Austausch über Kunst als für den Erwerb handwerklicher Fertigkeiten zu fungieren. Auch wenn der Dualismus zwischen Konzept und Handwerk in der Akademieausbildung heute in den Hintergrund gerückt ist, hätte man hier nochmal genauer hinschauen können – nicht zuletzt, da das Redenkönnen über eigene und fremde Arbeiten, über generelle Probleme in der Theorie, der Praxis und im Betrieb der Kunst selbst Teil des Handwerks sind und sich umgekehrt die Arbeit an buchstäblichen Werkstoffen nicht erübrigt, nur weil man besonders gut über das reden kann, was man da macht.

Als kuratorische Untersuchung darüber, wie man heute Kunst lehren und lernen kann, bleibt die Ausstellung im KIT eher unbefriedigend. Sie flüchtet sich – vielleicht weil dieses Terrain so schwierig ist – zu oft in die Kontemplation von Veranstaltungsarchiven, statt wirklich akademiekritische Positionen und progressive, vielleicht auch provokative Ansätze der Lehre und Vermittlung zu integrieren.

Unter dem offenen Titel der Schau hätte man vieles tun können: z. B. unterschiedliche Auffassungen von Künstlerausbildung gegeneinanderstellen; oder die Akademie mit all ihren hierarchischen Strukturen ins Licht rücken; oder die Potentialität des Dialogischen als ein Prinzip der Akademie in den Mittelpunkt stellen und in seiner gesellschaftlichen Bedeutung untersuchen. Was man aber im KIT vor sich hat, ist eine bunte Ansammlung von Einzelwerken: großformatige Malerei von Dietmar Lutz, die mit schnellem Pinselstrich die Hängung für Rundgangsausstellungen festhält (Hängung, 2017); eine Soundarbeit über die Organisation von Offspace-Barabenden (Im Goldenen: Wie man eine Bar betreibt, 2017); Veranstaltungsflyer aus dem Besitz von Katharina Fritsch; ein Fax von Eva und Adele an den bis 1998 an der Düsseldorfer Akademie studierenden Maler Volker Hermes, der offensichtlich dafür zuständig war, die Vortragsgäste mit Karottensaft und „Videokanonen“ zu versorgen.

Taisiya Ivanova schneidet in ihrer Videoarbeit Kill Your Darlings (2017) Gespräche in der Klasse und mit dem Professor sowie mit ihrer Mutter via Skype zu meditativ wirkenden Bildfolgen und, teils monologischen, Gesprächssituationen aneinander. Was es heißt, vor oder mit jemandem über sich und die eigene Kunst zu sprechen und andere dazu Stellung nehmen zu hören, während man sich selbst und andere beim Denken und Zweifeln beobachtet – all das schwingt hier zwischen den Zeilen mit. Auch der nötige Mut, Dinge wegzulassen, sich zu entscheiden, etwa für eine Idee, auf die man seine Kräfte eine Zeit lang konzentriert, klingt im Titel an. Der Ausstellung als ganzer hätte man etwas mehr von dieser Entschlossenheit, die auch Angreifbarkeit bedeutet, gewünscht.


Dieser Text wurde bereits in einer längeren Version veröffentlicht auf „Artblog Cologne. Kunst aus dem Rheinland und den Benelux-Ländern“

(25. November 2017, http://www.artblogcologne.com/akademie/).

(Fotos: Ellen Wagner)